Schinderhannes

Am 20. November 1803 wurde gegen Johannes Bückler und 19 seiner Mitangeklagten, allesamt Mitglieder seiner Räuberbande durch das Tribunal criminel spéciel zu Mainz unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Wernher die Todesstrafe verhängt, die schon am 21. November mit Hilfe einer eigens dafür errichteten Guillotine vollstreckt wurde. Johannes Bückler, bekannt und berühmt als "Schinderhannes" erhielt seine Strafe für 3 Mordtaten, 20 Raubüberfälle und 30 schwere Diebstähle. Die öffentlich durchgeführte Exekution dauerte im ganzen keine halbe Stunde, wie auch der Prozess angesicht von 67 Angeklagten mit knapp zwei Wochen Verfahrensdauer sehr kurz war. Über 500 Zeugen waren geladen, der Angeklagte Schinderhannes trug jedoch selbst durch ein umfangreiches Geständnis zur Wahrheitsfindung bei. Mit mehr als 53 verschiedenen Tatkomplexen, verübt in den Jahren 1796 bis 1802 hatte das Gericht sich zu befassen, das im eigens zu diesem Zweck umgebauten Konzertsaal des Mainzer Schlosses stattfand.

Seinen Namen "Schinderhannes" hatte Johannes Bückler sicher aus dem Broterwerb seines Vaters, der Abdecker war, also ein Schlachter, der die Notschlachtung kranken Viehs zu besorgen hatte. Diese Abdecker heissen im Volksmund "Schinder".

Die Reihe der Schinderhannes zuordenbaren Straftaten war lange. Bereits mit 14 unterschlug er Geld, kurze Zeit später stahl er ein Pferd.
Einem Abdecker, bei dem er in der Lehre war, entwendete er sechs Kalbsfelle, wofür ihm öffentlich, auf dem Marktplatz 25 Stockhiebe verabreicht wurden. Im Prozess in Mainz sagte Schinderhannes aus, diese Schmach, diese öffentliche Züchtigung habe ihn endgültig auf die schiefe Bahn gebracht.
Es folgten einige Jahre, in denen er gewohnsheitsmässig Diebstähle ausführte, was ihm schliesslich eine Inhaftierung im Rathaus von Kirn einbrachte. Der bevorstehenden Gerichtsverhandlung in Kirn entzog er sich durch Flucht. Hatte er zuvor neben seinen Diebereien noch regelmässig bei einem Abdecker gearbeitet, tauchte er nun vollends in die Illegalität. In den folgenden Jahren erwarb er sich im Hunsrück bereits eine gewisse Berühmtheit, weil es ihm mehrmals gelang, Bestohlenen deren eigene Waren wieder zurückzuverkaufen, ohne daß diese das zunächst bemerkten. Auch die Dreistigkeit seiner Diebstähle sorgte für eine frühe Bekanntheit.
Nach einigen Zusammenstössen mit der Polizei schloss er sich der Hunsrück-Bande des Räubers Fink an, die auf Pferdediebstahl spezialisiert war.
Einer Verurteilung wegen dieser Diebstähle nach einer Verhaftung entkam er auf dem Weg nach Saarbrücken, wo er abgeurteilt werden sollte, durch Flucht.
Da die Pferdediebstähle durch die Bande unerträgliche Ausmasse angenommen hatten, stationierte die französische Regierung eine Brigade Nationalgendarmerie in Kirn, die systematisch die Gegend durchkämmte. Am 25. Februar 1799 wird Schinderhannes verhaftet und in den Gefängnisturm von Simmern verbracht. Dort gelingt es ihm tatsächlich in sechs Monaten einen Tunnel zu graben, durch den er am 20. August 1799 flieht. Diese unglaubliche Flucht steigert Schinderhannes Bekanntheitsgrad aufs Neue.
Die folgenden Jahre sind geprägt durch zahlreiche Überfälle der Räuberbande, deren unumstrittener Kopf Schinderhannes nun war. Die Bande macht nun auch vor Morden und schweren Mißhandlungen nicht mehr halt. Später, im Hunsrücker Soonwald in einer verlassenen Burg fest etabliert, kommen Erpressungen reicher Kaufleute hinzu, die "Schutzgelderpressung" ist also keine Erfindung der Mafia. Mehr und mehr erhob sich nun die ländliche Bevölkerung des Hunsrück, bei der er durchaus Sympathie genossen hatte, gegen den Schinderhannes und seine Bande. Als er versuchte 1801 in dem Dorf Staudernheim einen reichen jüdischen Kaufmann auszuplündern, liefen die Bewohner des Dorfes zusammen und vertrieben Schinderhannes und seine Räuber. Das Beispiel der Staudernheimer fand zahlreiche Nachahmer, sodaß sich Schinderhannes im Mai 1802 unter falschem Namen bei den kaiserlichen Truppen anwerben liess. In Limburg wurde er aber von einem Soldaten erkannt und sofort verhaftet.
Mit der Enthauptung Schinderhannes endete die Zeit der großen Räuberbanden in Deutschland, die sich mit den Nachkriegswirren des 30jährigen Krieges bis Ende des 18. Jahrhunderts im Südwesten Deutschlands hinzog. Begünstigt wurde dieses Treiben sicher durch die zahlreiche Unterschlupfmöglichkeiten bietende Mittelgebirgslandschaft mit ausgedehnten Wäldern und die politische und administrative Zersplitterung des deutschen Südwestens in jener Zeit.

Die Prozessberichte aus Mainz zeigen jedoch eins sehr deutlich: die oft in der Literatur und in Filmen vorgenommene Glorifizierung der Räuberhauptmänner zu "edlen Räubern" war bei Schinderhannes ganz und gar unangemessen. Seine Bande ging mit äusserster Brutalität vor und versetzte einen ganzen Landstrich über Jahre hinweg in Angst und Schrecken.

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