Paul Verlaire und Arthur Rimbaud

Paul Verlaine und Arthur Rimbaud, zwei jeder auf seine Art revolutionäre Lyriker der französischen Literatur, Verlaine 1844, Rimbaud 1854 geboren, verband eine intensive schicksalhafte Beziehung, die Verlaine in unangenehme Berührung mit der Justiz brachte.

Rimbaud, bewundert von fast allen lyrischen Strömungen der Jahrhundertwende, seien es Surrealisten, die Expressionisten oder Symbolisten gewesen, begab sich 1871 nach Paris und beteiligte sich an den Aufständen der Pariser Kommune. Verlaine war zu dieser Zeit bereits ein bekannter Lyriker, Meister der Stilkunst. Rimbaud sandte ihm eine Abschrift seiner Dichtung „Das trunkene Schiff", welches Verlaine so beeindruckte, daß er wünschte, den Dichter kennenzulernen. Sie treffen sich 1871 in Paris und sind sofort voneinander fasziniert. Die Nacht verbrachten sie in Schankstuben, ihre Beziehung erschien so eng, daß Verlaines Frau, Rimbaud aus dem Haus ihrer Eltern entfernen ließ. 1872 verläßt Verlaine seine Frau und geht mit Rimbaud auf eine ausgedehnte Auslandsreise, die in Brüssel endet. Dort versucht Verlaines Frau diesen nach Paris zurückzuholen, was zunächst zu gelingen scheint, kurz vor der Grenze zu Frankreich verläßt Verlaine jedoch heimlich den Zug nach Paris und geht zurück zu Rimbaud. Beide siedeln sie nach London über und führen ihr ausschweifendes Leben weiter. Nach den Berichten von Zeitzeugen waren sie jeden Abend sturzbetrunken. Berichte über eine homoerotische Beziehung zwischen beiden waren verbreitet. Aus Geldnot kehrt Rimbaud zu seinen Eltern zurück, auch Verlaine verläßt London. Nach einigen Monaten des Getrenntseins treffen sie sich im Mai des Jahres 1873 wieder in London, geraten jedoch heftig miteinander in Streit, so daß Verlaine zurück nach Brüssel fährt. Im Juli desselben Jahres trifft Rimbaud, von Verlaine aufgefordert, wieder in Brüssel ein, die beiden nehmen ihr gewohntes Leben wieder auf und bereichern die Gästeschar der Brüsseler Gastronomie.

Wieder geraten die beiden in Streit, da Verlaine zu seiner Frau zurückkehren will und sich gegen das Ansinnen Rimbauds wehrt, ihn zu begleiten, da er wohl mit Recht eine Versöhnung mit seiner Frau als unwahrscheinlich ansieht, wenn Rimbaud ihn begleitet. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung kauft sich Verlaine einen Revolver, kommt angetrunken in das Hotelzimmer zurück, zeigt Rimbaud die Waffe und sagt, dieser Revolver sei für ihn, Verlaine, für ihn Rimbaud und für jedermann. Beide suchen danach eine Wirtschaft auf und verbringen dort mehrere Stunden mit gewaltigem Alkoholkonsum. Ins Hotel zurückgekehrt, sorgte die geplante Parisreise wieder für Streit. Rimbaud besteht darauf, ebenfalls nach Paris zu fahren, Verlaine schließt die Tür, nimmt seinen Revolver und gibt zwei Schüsse auf Rimbaud ab. Eine Kugel trifft Rimbaud am Daumen der linken Hand, die andere trifft lediglich die Zimmerwand.

Im späteren Prozeß sagt Rimbaud aus, Verlaine habe nach Abgabe der beiden Schüsse erhebliche Gewissensbisse gehabt, sich wie ein Verrückter aufgeführt, ihn sogar aufgefordert, die Waffe zu nehmen und ihn zu erschießen.

Rimbaud wollte selbstverständlich seinen Freund nicht anzeigen, gemeinsam gingen sie zu einem Arzt, die Wunden verbinden lassen. Auf dem Weg gerieten sie wiederum in Streit über die geplante Parisreise, Verlaine zieht die Waffe und zielt auf Rimbaud. Zufällig anwesende Polizeibeamte verhaften beide und Rimbaud erzählt, was sich im Hotelzimmer ereignet hat. Bei Verlaine entdeckt man 47 Schuß Munition. Wegen Mordversuchs wird er in Haft genommen. Der Untersuchungsrichter sah sich auch bemüßigt, der Frage nachzugehen, welche Beziehungen denn zwischen den beiden Männern bestanden. Es wurde eine ärztliche Untersuchung angeordnet, die zu dem Schluß kam, daß zwischen beiden homosexuelle Handlungen stattgefunden haben.

Die Staatsanwaltschaft, die zunächst wegen Mordes angeklagt hatte, beschränkte im Verfahren, das im August 1873 vor einem Brüsseler Strafgericht stattfand, die Anklage auf Körperverletzung. Obwohl Rimbaud nach Kräften versuchte, seinen Freund zu entlasten, verhängte das Gericht die Höchststrafe von zwei Jahren Gefängnis.

Die Berufung gegen das Urteil wurde verworfen. Es war ein Urteil, das auch für damalige Verhältnisse an sich undenkbar war. Ein Schwerstbetrunkener hat nach einem heftigen Beziehungsstreit zwei Schüsse abgegeben und lediglich eine leichte Verletzung verursacht. Es ist viel darüber spekuliert worden, ob das harte Urteil gegen Verlaine darauf zurückzuführen war, daß er sich der Pariser Kommune angeschlossen hatte, daß er Ausländer war, daß er homosexuell war oder daß er auch ansonsten außerhalb der Norm lebte. Vermutlich war es eine Mischung aus allem.

Zum nächsten Text Der Sachsenspiegel

Zurück zur Textübersicht Texte

Zurück zur Startseite: Homepage Rechtsanwalt van Vliet