Oscar Wilde
Oscar Wilde,1854 in Dublin geboren, ist sicher einer der
bekanntesten und erfolgreichsten Bühnenautoren Englands. Im Jahr 1895 war er in drei
Prozesse verwickelt, die ihn ruinieren und brechen sollten und die allesamt um
"widernatürliche Unzucht" kreisten.
Zu
Zeiten seiner größten Erfolge 1892 bis 1895, in denen seine Komödien "Lady
Windermeres Fächer", "Bunbury" und "Der ideale Gatte" zu
Erfolgsstücken werden, lernt Oscar Wilde den jungen Lord Alfred Douglas, Sohn eines
Marquis of Queensberry kennen, von dem er offensichtlich fasziniert ist und dem er
schwärmerische Briefe schreibt. Einer dieser Briefe gelangt eines Tages zum Vater des
Lord Douglas, der Oscar Wilde und seinem Sohn gleichgeschlechtliche Neigungen unterstellt
und auf jede Weise versucht, die beiden auseinanderzubringen. Am 18. Februar 1895 begibt
sich Marquis Queensberry in einen Club, in dem Oscar Wilde Mitglied ist und gibt dort eine
offene Visitenkarte für Oscar Wilde ab. Auf die Karte hat er die Worte geschrieben
"An Oscar Wilde, der sich wie ein Päderast benimmt". Wilde erstattet über
seinen Anwalt Anzeige gegen Lord Queensberry, der festgenommen wird. In einem mehrere Tage
dauernden Verfahren wird vor einem Gericht unter summarischer Vorprüfung der Strafanzeige
über einen gegen Marquis Queensberry zu erlassenden Haftbefehl verhandelt. Der Prozeß
erregt großes Aufsehen und findet unter reger Teilnahme der Öffentlichkeit statt und
endet mit einem Haftbefehl gegen den Vater des Freundes von Oscar Wilde.
Wenige Wochen später beginnt vor dem Londoner Strafgericht, dem Old Bailey, der Prozeß,
auf dem beide Seiten von einem Barrister, einem Rechtsanwalt, der vor Gericht auftreten
darf, vertreten werden. Der Marquis Queenberry hatte mittlerweile Privatdetektive mit
Ermittlungen über das Intimleben von Oscar Wilde beauftragt. Diese finden in den
Räumlichkeiten eines jungen Mannes, aus dem Bekanntenkreis Oskar Wildes, Adressen von
zahlreichen Homosexuellen und Unterlagen, die deren Kontakte zu Oscar Wilde erkennen
lassen. Die derart gewonnenen Erkenntnisse fließen in eine Rechtfertigungsschrift gegen
die Klage Oscar Wildes ein, der sämtliche darin gegen ihn erhobenen Vorwürfe vehement
bestreitet.
Zahlreiche Freunde, u. a. George Bernard Shaw bestürmen Oscar Wilde, das Land zu
verlassen, da klar ist, daß für den Fall, daß Oscar Wilde seine Klage gegen den Marquis
Queensberry verliert, sofort der Spieß umgedreht würde und Oscar Wilde mit einem Prozeß
wegen "widernatürliche Handlungen" zu rechnen hätte. Es ist sein Freund Lord
Douglas, der ihn davon abbringt. Der Rechtsanwalt Marquis Queensberrys treibt Oscar Wilde
durch geschickte Fragen in die Enge, er bringt den unstandesgemäßen Freundeskreis Oscar
Wildes bereits am ersten Tag zur Sprache, zitiert aus Oscar Wildes Briefen an Lord Douglas
und sorgt durch die Erörterung einiger in gutbürgerlichen Augen zweifelhafter
Bekanntschaften für gehörigen Eindruck bei den zwölf Geschworenen. Intensiv werden
Geschenke Oscar Wildes an einen 18jährigen arbeitslosen Zeitungsverkäufer erörtert, so
u. a. ein silbernes Zigarettenetui mit persönlicher Widmung.
Am zweiten Tag werden Oscar Wildes Besuche bei einem Alfred Taylor erörtert, der
Organisator für Nachmittagstees war, zu denen ausschließlich männliche Gäste gebeten
wurden. Es kommt zur Sprache, daß diese Tees immer in mit Vorhängen verdunkelten Räumen
stattfanden und alle Teilnehmer nach starkem Parfuem dufteten. Es kommt auch zur Sprache,
daß Oscar Wilde verschiedene junge Männer, meist Kammerdiener und Bedienstete, über
Taylor kennenlernte.
In seinem Plädoyer an diesem Tage läßt Marquis Queensberrys Anwalt ein weiteres, die
Geschworenen beeindruckendes Detail einfließen, er führt nämlich aus, daß Oscar Wilde
wegen eines seiner Briefe an Lord Douglas erpreßt worden sei, was nicht ohne Eindruck auf
die Geschworenen bleibt. Sehr geschickt vermeidet es dieser Anwalt, Oscar Wilde direkt
homosexueller Handlungen mit Douglas zu bezichtigen, aber immer wieder wirbt er um
Verständnis für die Rolle eines Vaters, der mit ansehen muß, in welcher Gesellschaft
sich sein Sohn befinde und der unter einem derart offenkundig ungünstigen Einfluß wie
dem Oscar Wildes sich doch in größter Gefahr für seine Sittlichkeit befinden müsse. Am
Ende dieses Prozeßtages findet eine intensive Unterredung zwischen Oscar Wildes Anwalt
und seinem Mandanten statt. Er wird ihn über den Prozeßstand und über die Gefahr sehr
intensiv unterrichtet haben und rät ihm dringend, den Strafantrag gegen Marquis Queensberry
zurückzuziehen. Unter dem Eindruck der Beweisaufnahme sei es so gut wie sicher, daß die
Geschworenen die Formulierung "An Oscar Wilde, der sich wie ein Päderast
benimmt" als nachvollziehbar und gerechtfertigt ansehen würden. Mit Oscar Wildes
Zustimmung wird am nächsten Tag der Strafantrag tatsächlich zurückgezogen, das Gericht
spricht Marquis Queensberry frei.
Die Gegenseite zögert nun nicht lange. Unmittelbar nach dem Prozeß hat Queensberrys
Anwalt eine Kopie aller Erklärungen der im Prozeß nicht vernommenen Zeugen neben einem
Prozeßprotokoll an die Staatsanwaltschaft gerichtet, kurze Zeit später ergeht gegen
Oscar Wilde Haftbefehl. Wieder ist Oscar Wilde dem dringenden Anraten seiner Freunde nicht
gefolgt, England zu verlassen.
Ihm wird keine Haftverschonung gewährt, in Untersuchungshaft wartet er das Ende des
Prozesses gegen ihn ab. Er wird zusammen mit dem Veranstalter der Teestunden Alfred Taylor
angeklagt wegen insgesamt 25 Verstößen gegen den "Criminal Law Amendment Act"
von 1885, demgemäß männliche Personen sich strafbar machen, die öffentlich oder privat
unsittliche Handlungen mit anderen männlichen Personen begehen, an ihnen teilnehmen,
Gelegenheit hierzu verschaffen oder zu verschaffen versuchen. Das Strafmaß beträgt bis
zu zwei Jahren Gefängnis, Gefängnis mit Zwangsarbeit kann angeordnet werden.
Sämtliche Zeugen der Staatsanwaltschaft bestätigen, mit Oscar Wilde homosexuelle
Beziehungen gehabt zu haben. Auch Zimmerwirte, Stubenmädchen, Hoteliers und Gäste jener
Hotels, in denen es zu unsittlichen Handlungen gekommen sein soll, werden vernommen.
Einige der vernommenen Zeugen halten intensiven Nachfragen von Oscar Wildes Verteidigern
nicht stand, so daß sich letztendlich die Jury in den meisten Anklagepunkten nicht einig
wird, in einigen wenigen Punkten beide Angeklagte sowohl Wilde, als auch Taylor für
unschuldig erklärt. Es erfolgt in diesem Prozeß daher Freispruch bezüglich der
Anklagepunkte, in denen die Jury sich auf ein Nichtschuldig einigen konnte, nachdem
damals geltenden Prozeßrecht war für die übrigen Anklagepunkte ein neuer Prozeß
notwendig.
Im nunmehr dritten Prozeß um Oscar Wildes Neigungen übernimmt der Generalstaatsanwalt
höchstselbst die Anklagevertretung. Wieder wird Oscar Wilde gedrängt, England zu
verlassen, Oscar Wilde folgt diesen Ratschlägen nicht. In dieser Zeit zwischen dem
zweiten und dritten Prozeß um Oscar Wilde malt der Graf Henri de Toulouse-Lautrec das
bekannte Bild, das den Schriftsteller mit dem Big Ben im Hintergrund zeigt. Das
weltberühmte Porträt zeigt deutlich die Mitgenommenkeit, die Müdigkeit eines vom
Schicksal gezeichneten Oscar Wilde.
Wieder werden die Hoteliers, die Stubenmädchen und die Zimmernachbarn vernommen. Obwohl
es zu keinen anderen Aussagen als im Vorprozeß kommt, obwohl selbst der
Generalstaatsanwalt nicht an seinen Sieg in dieser Sache glaubt, ist sich die Jury, wohl
nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Meinung, überraschend schnell einig und spricht
sowohl Oscar Wilde, als auch Taylor in allen Anklagepunkten schuldig. Oscar Wilde und
Taylor werden beide zu zwei Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit verurteilt.
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