Nulla poena sine lege

In Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes steht ebenso wie in § 1 des Strafgesetzbuches ein Satz, dessen heutige Selbstverständlichkeit bis ins 18. Jahrhundert keineswegs gegeben war "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."
Nulla poena sine lege - keine Strafe ohne Gesetz heisst hierzu der Merksatz.
Die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 kam mit wenigen geschriebenen Verbrechenstatbeständen aus. Passten die nicht, machte es nichts, verurteilt wurde trotzdem, nach vernünftigem Ermessen des Tatgerichts.
Erst das bayrische Strafgesetzbuch von 1813, geschrieben von Anselm von Feuerbach, aus der Denkschule Kants kommend, ein Verfechter der Aufklärung war ein rechststaatliches Gesetzeswerk heutiger Prägung. Getragen war das Gesetz von dem Gedanken, daß das Gesetz erst die Strafgewalt begründe, sie aber zugleich begrenze. Bestraft werden kann nur, was in genau beschriebenen Tatbeständen durch das Gesetz als strafbar bezeichnet wird. Getreu dem Franz v. Liszt zugeschriebenen Ausspruch "Das Strafgesetzbuch muß die Magna Charta des Verbrechers sein"
Das bayrische Strafgesetzbuch von 1813 begründet die Epoche des liberalen Rechtsstaates, die Tat an sich, nicht die Gesinnung des Täters, nicht dessen Stand, Herkunft, nicht allgemeine Moralvorstellungen oder religiöse Überzeugungen sollen Grundlage der Strafbarkeit sein sondern festumschriebene Tatbestände "verbotener" Taten. Dieses allgemein zugängliche, allgemein verbindliche niedergeschriebene Recht war für Feuerbach und die Juristen der Aufklärung auch Voraussetzung für die Generalprävention, das Bestehen der Straftatbestände und ihrer festumrissenen Strafandrohungen sollte am Begehen der Straftaten hindern.

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