Michael Kohlhaas

Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas", die Geschichte des Mannes, der bis zum eigenen Untergang gegen das ihm angeblich angetane Unrecht kämpft, haben zahlreiche Schülergenerationen als Pflichtlektüre des Deutschunterrichts über sich ergehen lassen.
Kaum bekannt ist, daß dieser Novelle eine wahre Begebenheit zugrundeliegt.

Hans Kohlhaase, ein Händler aus Cölln reist im Oktober 1532 nach Leipzig, um dort auf der Messe seine Waren zu verkaufen. In einem Dorfgasthof auf dem Weg macht er Rast und wird von zwei ihm unbekannten Männern angesprochen. Die Männer beschimpfen ihn als Pferdedieb, schlagen Hans Kohlhaase in die Flucht und ziehen mit seinen beiden Pferden zu ihrem Herren, dem Ritter Günther von Zaschwitz, der sich die Pferde aneignet.

Zwei Wochen später wird Hans Kohlhaase bei dem Ritter von Zaschwitz vorstellig mit einem Empfehlungsschreiben aus Leipzig und bittet um die Rückgabe seines Eigentums. Der Ritter von Zaschwitz verlangt nun von Kohlhaase sechs Groschen für Hafer und Heu, welches die Pferde in den beiden Wochen verkonsumiert hätten. Sechs Groschen waren ein exorbitanter Preis für Hafer und Heu, weswegen Kohlhaase die Forderung ablehnt und ohne seine Pferde nach Hause zurückkehrt.

Dort schreibt er ein Gesuch an den Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, den Landesherrn des Ritters von Zaschwitz, mit der Bitte, bei der Rückgabe seines Eigentumes zu vermitteln. Der Kurfürst von Sachsen wies den Ritter von Zaschwitz auch an, dem Kohlhaase seine Pferde zurückzugeben. Diese waren inzwischen von dem Zaschwitz jedoch zur Feldarbeit eingespannt und derart schlecht mit Futter versorgt worden, daß der Hans Kohlhaase bei deren Anblick ausrief: "Dies sind nicht meine Pferde!"

Auf seine Bitte hin vermittelte nun sein eigener Landesherr, der Kurfürst von Brandenburg, Joachim I. Er bringt den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen dazu , einen Rechtstag unter Leitung des für den Tatort zuständigen Landvogts abzuhalten. Auf diesem Rechtstag verlangt Kohlhaase die Rücknahme der Beleidigung, er sei ein Pferdedieb, die Erstattung des doppelten Wertes der Pferde und einen Schadensersatz von 150 Gulden für die Verluste, die er durch sein verspätetes Eintreffen auf dem Markt in Leipzig erlitten hatte.

Ritter von Zaschwitz entgegnete darauf, der Kohlhaase habe seine Pferde einfach alleine gelassen, worauf ihm garnichts anderes übriggeblieben sei, als diese bei sich einzustellen und sie teuer durchzufüttern, wofür er von dem Hans Kohlhaase ein Futtergeld von zwölf Gulden haben wolle. Er, der Zaschwitz, sei im übrigen dem Kohlhaase nichts schuldig.
Es wurde daraufhin ein Vergleich geschlossen, daß Kohlhaase seine Pferde für die zwölf Gulden auslösen möge und sich wegen dem Schadensersatze an die Behörden in Bitterfeld wenden solle.
Kurz nach der Abholung der Pferde verendete einer der beiden Gäule, durch mangelnde Pflege völlig entkräftet. In der Folgezeit wurde Kohlhaase jegliche Zahlung verweigert, der Landvogt riet ihm, er möge aufhören zu querulieren.
Zu diesem Zeitpunkt war seit dem Vorfall vor dem Landgasthaus über ein Jahr vergangen. Hans Kohlhaase greift nun zu einem zu Beginn des 16. Jahrhunderts in den deutschen Ländern weitverbreiteten Mittel, zum jus manuarium, d. h., er entschließt sich, das Faustrecht auszuüben und zur Selbsthilfe zu greifen. Hans Kohlhaase schickt dem Landvogt einen Fehdebrief, in dem er ankündigt, daß er nun sein Recht in eigenen Hände nehme.
In den folgenden Wochen und Monaten brannte es in Wittenberg und umliegenden Dörfern einige Male. Ob dies tatsächlich der Kohlhaase war, oder ihm nur jedwede Brandstiftung zugeschrieben wurde, ist nie geklärt worden. Die Ereignisse versetzten die Bevölkerung in derartige Unruhe, daß letztendlich ein Rechtstag in Jüterborg anberaumt wurde, wohin Kohlhaase sich gegen Zusicherung freien Geleites auch begab und wo man versuchte, zu einer Einigung zwischen den Parteien zu kommen. Der Ritter von Zaschwitz war mittlerweile verstorben, so daß seine Witwe als Erbin den Prozeß führte. Nach langem Hin und Her einigte man sich auf einen Vergleich, nämlich, daß die Familie von Zaschwitz die geforderte Ehrenerklärung für Kohlhaase abgeben sollte und ihm eine Abfindung in Höhe von 600 Gulden zahlen sollte, eine für die Zeit gewaltige Summe.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres erhielt Kohlhaase aber erschreckende Nachricht. Der Landvogt unterrichtete ihn, daß die Hofräte des Gerichtstages den Vergleich für null und nichtig erklärten, ein solcher Vergleich würde all jenen ein schlechtes Beispiel geben, die glaubten, aus Fehden einen Gelderwerb machen zu können, der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen habe daher sowohl der Frau von Zaschwitz, als auch ihren Kindern strengstens untersagt, irgendwelche Zahlungen zu leisten.

Nach einigen Wochen der Ruhe kam es nun in Sachsen wieder zu Überfällen, die Mühle eines der Hofräte, die über ihn zu Gericht gesessen hatten, brannte, Kaufleute wurden überfallen und Brände gelegt. Aufgrund der landschaftlichen Gegebenheiten, der dichten Wälder und Sümpfe war Kohlhaase nicht zu fassen. Nochmals versuchte man es mit einem Rechtstag, die Meinung dieses Gerichtes fiel aber so ganz und gar zu Ungunsten des Kohlhaase aus, daß er den Spruch nicht akzeptierte. In der Folgezeit verübt Kohlhaase mehrere Überfälle und versucht auch mit einer Entführung und einer Erpressung zu seinem vermeintlichen Recht zu kommen. Anfang Februar 1540 überfällt er einen kurfürstlichen Silbertransport und läßt dem Kurfürsten ausrichten, er werde das Silber unverzüglich zurückgeben, wenn man ihm endlich zu seinem Recht verholfen habe. Unter dem Vorwand von Verhandlungen lockt ihn der Kurfürst nach Berlin, wo er verhaftet und in das Turmverlies des Rathauses geworfen wird. Angeklagt wird er wegen Verletzung des auf dem Wormser Reichstag 1495 verkündeten ewigen Landfriedens. Hierauf stand Kerkerhaft, Reichsacht oder die Todesstrafe. Trotz eines nach dem Bericht von Zeitzeugen beeindruckenden Plädoyers, in dem Hans Kohlhaase nochmals die ganze Geschichte des ihm widerfahrenen Unrechtes, beginnend mit der Entwendung seiner Pferde schildert und darstellt, und das gekrönt ist in dem Ausruf: "Das Recht muß Recht bleiben und sollte darüber die Welt zugrunde gehen!" wird Hans Kohlhaase zum Tod auf dem Rad verurteilt.

Am 22.03.1540 wird die Strafe öffentlich vollstreckt.

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