Gustave Flaubert

Madame Bovary" ist der Roman, mit dem der bis dahin fast unbekannte Schriftsteller Gustave Flaubert weltberühmt wird. Die Hauptperson Emma Bovary, eine Bauerntochter, die von Nonnen erzogen wurde, wird an einen verwitweten Landarzt verheiratet, der sie liebt, dessen Liebe von ihr aber nicht erwidert wird. Der Roman ist eine Abfolge von Liebschaften Emma Bovarys, die ihren Ehemann in immer größere Schulden stürzt. Als die Schuldenlast erdrückend wird, nimmt sie Gift, kurz darauf stirbt ihr, sie immer noch liebender, Ehemann.

Diese Geschichte, die durchaus Grundlage einer modernen Soap opera sein könnte, gewinnt im Roman ihren Reiz dadurch, daß Flaubert literarisch meisterhaft die Empfindungen Emma Bovarys bei ihren Liebesabenteuern schildert, die Kombination Ehebruch und intensive Schilderung weiblicher Lust konnte nicht ohne Folge sein. Der Roman, der damaligem Usus folgend, als Fortsetzung in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde, wird aufgrund von Beschwerden in Absprache zwischen dem Verleger der Zeitschrift und Flaubert "entschärft", eine andere Zeitung veröffentlicht jedoch die entschärften Stellen, was den Staatsanwalt auf den Plan ruft.

Vor der 6. Strafkammer des Pariser Polizeigerichts wird im Januar 1857 die Hauptverhandlung eröffnet, die Anklage lautet auf Verletzung der öffentlichen und religiösen Moral, insbesondere durch Verherrlichung ehebrecherischer Verhältnisse.

Die Plädoyers des Staatsanwaltes und des Verteidigers sind der Nachwelt erhalten geblieben, aus dem Plädoyer des Staatsanwaltes sind folgende Sätze, die stellvertretend sein können für den scheinbar steten Kampf zwischen der Freiheit der Kunst und den Bewahrern der Moral durchaus bemerkenswert:

"Es wird uns entgegengehalten werden, der Roman sei doch in seiner Essenz moralisch, der Ehebruch werde ja bestraft. Doch ich sage ihnen, daß die unzüchtigen Stellen darin niemals durch einen moralischen Schluß ausgeglichen werden können, könnte man doch sonst alle möglichen Orgien, alle Schändlichkeiten einer Dirne beschreiben und sie dann auf dem elenden Lager eines Spitals sterben lassen. Somit wäre erlaubt, all ihre unzüchtigen Gebärden zu zeigen".

Und etwas später führt er aus:

" Die seichten Stellen der "Madame Bovary" fallen in die Hände junger Mädchen und manchmal verheirateter Frauen. Glauben Sie denn, daß eine kühle Urteilskraft stark genug gegen diese Verführung der Sinne und Gefühle sein werde, wenn die Vorstellungskraft erst einmal der Verführung zugänglich gemacht ist und diese Verführung das Herz erreicht hat, das Herz zu den Sinnen gesprochen hat?"

Flaubert hat das Glück, einen wortgewaltigen, kunstsinnigen und geschickten Verteidiger in Maitre Senard zu haben. Wort für Wort widerlegt er in einem heute noch lesenswerten Plädoyer die Argumente der Staatsanwaltschaft, weist nach, daß der Staatsanwalt Zitate aus dem Zusammenhang gerissen habe und führt diese in den Kontext des Romans zurück.

Das Gericht verkündet ein salomonisches Urteil. Er spricht frei, in den Urteilsgründen hebt es jedoch deutlich den Zeigefinger, spricht von einem strengen Tadel, den das Werk verdiene, spricht von Grenzen, die die Literatur nicht überschreiten dürfe und über die sich Flaubert wohl nicht klargewesen sei und spricht davon, daß er wohl nur den Fehler gemacht habe, die Grundsätze zu vergessen, die jeder sich selbst achtende Schriftsteller niemals überschreiten solle.

Ein als sensationell empfundener Freispruch, der nicht in die Zeit paßte und wohl eher eine Verneigung des Gerichts vor den Künsten des Verteidigers als Ausdruck einer inneren Überzeugung von der Freiheit der Kunst war.

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