Atomwaffenurteil

Ein Urteil, von dem man bereits jetzt mit Sicherheit sagen kann, daß es einen Platz in der Rechtsgeschichte haben wird, ist der Beschluß des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom 8. Juli 1996 zur Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen:

Der Urteilstenor:

A. Weder im internationalen Gewohnheitsrecht noch im internationalen Vertragsrecht gibt es eine ausdrückliche Ermächtigung zur Drohung mit bzw. zum Einsatz von Atomwaffen.
(einstimmig)

B. Weder im internationalen Gewohnheitsrecht noch im internationalen Vertragsrecht gibt es ein umfassendes und weltweites Verbot der Drohung mit bzw. des Einsatzes von Atomwaffen als solchen.
(mit 11 zu 3 Stimmen)

C. Eine Drohung oder Gewaltanwendung mit Atomwaffen, die gegen Artikel 2, Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen [Verbot der Gewaltanwendung] verstieße und nicht alle Anforderungen des Artikels 51 erfüllte, wäre rechtswidrig.
(einstimmig)

D. Eine Drohung mit bzw. ein Einsatz von Atomwaffen hat auch die Anforderungen des Völkerrechts für bewaffnete Konflikte zu erfüllen, insbesondere die Regeln und Prinzipien des humanitären Kriegsvölkerrechts, sowie die besonderen Verpflichtungen, die sich aus Verträgen und anderen Übereinkünften ergeben, die sich ausdrücklich auf Kernwaffen beziehen.
(einstimmig)

E. Aus den oben genannten Anforderungen folgt, daß die Drohung mit bzw. der Einsatz von Atomwaffen gegen die Regeln des Völkerrechts für bewaffnete Konflikte im allgemeinen verstoßen würde und im besonderen gegen die Regeln und Prinzipien des humanitären Völkerrechts.
Der Gerichtshof kann jedoch in Bezug auf den gegenwärtigen Stand des Völkerrechts und die ihm verfügbaren Grundlagen nicht definitiv entscheiden, ob die Drohung mit bzw. der Einsatz von Atomwaffen im äußersten Falle der Selbstverteidigung rechtmäßig oder rechtswidrig wäre, in dem das Überleben eines Staates auf dem Spiel steht.
(mit 7 zu 7 Stimmen; den Ausschlag gab die Stimme des Vorsitzenden)

F. Es besteht die Verpflichtung, Verhandlungen zu einer umfassenden nuklearen Abrüstung unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle in redlicher Absicht zu führen und zum Abschluß zu bringen.
(einstimmig)

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