Der Affenprozess

Charles Darwin hat 1871 sein Werk „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl" veröffentlicht. Seine Lehre von der gemeinsamen Abstammung des Menschen und des Affen aus einer evolutionsgeschichtlichen Wurzel hat über lange Zeit für erhebliche Auseinandersetzungen zwischen orthodoxen und konservativen Christen auf der einen Seite und Vertretern des Fortschritts und der kritischen Naturwissenschaft auf der anderen Seite geführt. Gerade konservative Kreise werteten Darwins Abstammungslehre als blasphemisch.

In den Vereinigten Staaten kam es Anfang dieses Jahrhunderts zu einer Bewegung vornehmlich in den Südstaaten, die die Texte der Heiligen Schrift als von Gott inspiriert und daher wörtlich zu nehmen ansah. An der Spitze dieser fundamentalistischen Bewegung stand William Bryan, der mehrmals hintereinander erfolgloser Präsidentschaftskandidat war und 1912 unter Präsident Wilson Außenminister für zwei Jahre wurde. Nach Ende seiner Amtszeit widmete er sich mit besonderem Eifer der Bekämpfung der Evolutionstheorie. Er hielt zahlreiche Vorträge und war ein begnadeter Redner, der schnell Zulauf fand. Seinem Einfluß ist es wohl zuzuschreiben, daß um 1925 immerhin drei der Südstaaten, nämlich Florida, Tennessee und Oklahoma Gesetze erließen, die verboten, in den Grundschulen die Evolutionstheorie zu lehren. In Tennessee wurde es sogar unter Strafe gestellt, die Evolutionstheorie in öffentlichen Schulen durchzunehmen. Das Gesetz führte dabei aus, daß es Lehrern verboten sei, jedwede Theorie zu lehren, die die christliche Lehre vom Menschen als Schöpfung Gottes leugne und stattdessen behaupte, daß der Mensch vom Tier abstamme.

Diese Gesetze in den drei Südstaaten führten zu einer Erstarkung der Gegner der Fundamentalisten, den sogenannten Evolutionisten, die diese Gesetzgebung als einen zutiefst verfassungswidrigen Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung werteten (womit sie unzweifelhaft Recht hatten). Ein Mitglied einer der gegründeten liberalen Organisationen, lehrte als 24jähriger Biologielehrer in einem kleinen Ort namens Dayton 1924, kurz nach Erlaß des Gesetzes, die Evolutionstheorie, bezeichnenderweise aus einem Biologiebuch, dessen Verwendung in Tennessee trotz des Gesetzes noch nicht verboten wurde. Eingeweihte Mitglieder der betreffenden evolutionistischen Organisation zeigten ihn an.

Daraufhin kommt es zu dem wohl skurrilsten Prozeß in der Rechtsgeschichte. William Bryan höchstselbst stellt der Staatsanwaltschaft seine Dienste zur Verfügung, der Biologielehrer wird von drei damals sehr bekannten Staranwälten, von denen einer aus Chicago und zwei aus New York stammten, verteidigt. Die Staatsanwaltschaft wird nicht nur von Bryan, sondern auch von dessen Sohn und vier Rechtsanwälten aus Dayton unterstützt. Das Verfahren findet unter großer Anteilnahme der internationalen Presse statt. Niemals vorher und niemals danach war die kaum 2000 Seelen zählende Provinzstadt Dayton dermaßen im Zenith des Interesses. Der Prozeß wurde begleitet von zahlreichen Vorträgen und Versammlungen, insbesondere der Fundamentalisten, Anhänger beider Strömungen waren aus dem ganzen Land angereist.

Am 10. Juni 1895 beginnt der Prozeß vor dem Geschworenengericht wie üblich mit der Auslosung der Geschworenen. Die Anwälte der Verteidigung beantragen zunächst folgerichtig, die Anklage nicht zuzulassen, da das Gesetz des Staates Tennessee gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen würde. Dieser Antrag wird vom vorsitzenden Richter in ausführlicher Erörterung abgelehnt.

Sieben Prozeßtage verlaufen mit ausführlichen Erörterungen prozessualer Fragen sowie langatmigen Wortgefechten zwischen Anklage und Verteidigung, die der Darstellung der gegensätzlichen wissenschaftlichen Standpunkte dienen.

Am achten Tag verlegt der vorsitzende Richter den Sitzungsort auf den Platz vor dem Gerichtsgebäude, der Verhandlung folgen nun mehr als 5000 Menschen. An diesem Tag beantragt einer der Verteidiger des Biologielehrers, für alle Prozeßbeteiligten völlig überraschend, William Bryan, den unumstrittenen Anführer der Fundamentalisten als Sachverständigen aussagen zu lassen. Trotz Bedenken der Staatsanwaltschaft und des Richters nimmt Bryan diese Herausforderung, der er sich gewachsen fühlt, dankbar an. Darrow konfrontiert Bryan im Zeugenstand mit ausgewählten Bibelzitaten und fragt immer wieder unermüdlich, ob diese Stellen wörtlich zu nehmen seien. Bryan, der zunächst noch selbstbewußt und mit seinen üblichen Scherzen antwortet, wird mit zunehmender Befragung durch den Verteidiger Darrow kleinlauter und kleinlauter. Ein sehr schönes Beispiel aus der Vernehmung ist die Stelle, in der Darrow Bryan fragt, ob dieser glaube, daß die Schlange auf ihrem Bauch kriechen müsse, weil sie Eva versucht habe, und als Bryan dies bejaht, Darrow ihn fragt, ob er irgendwelche Vorstellungen habe, wie sich eine Schlange denn vorher bewegt habe.

Die Vernehmung Bryans ist der erste große Triumph der Verteidigung, der seinen Eindruck auf die Prozeßbeteiligten nicht verfehlt haben dürfte. Am nächsten Tag verfügt der vorsitzende Richter, daß alle Erklärungen Bryans rechtlich ohne Belang seien und seine gesamte Aussage aus dem Protokoll gestrichen werden sollte.

Ein prozessualer Schachzug der Verteidigung verhindert, daß Bryan in einem Schlußplädoyer mit seiner Beredsamkeit seine Schlappe aus dem Zeugenstand wieder wettmachen könne, die Verteidigung verzichtet nämlich auf ein Plädoyer und nimmt damit auch der Anklage die Möglichkeit zu plädieren.

Verteidiger Darrow bittet sogar um einen Schuldspruch, denn Sinn des Verfahrens ist es für die liberale Organisation von vorneherein gewesen, vor dem Ortsgericht einen Schuldspruch zu erhalten und diesen in der nächsten Instanz, bei Bedarf auch durch die Revisionsinstanz, nämlich den obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten aufheben zu lassen. Es sollte ein Grundsatzprozeß geführt werden und dieser sollte nicht in Dayton enden. Die Geschworenen kommen tatsächlich nach einer knapp zehnminütigen Beratung zu einem Schuldspruch, der Biologielehrer wird zu einer Geldstrafe von 100 Dollar verurteilt.

Der oberste Gerichtshof des Staates Tennessee hebt dieses Urteil im Januar 1927 auf, allerdings lediglich wegen eines Verfahrensfehlers, da die verhängte Geldstrafe nicht durch den Richter, sondern nur durch die Jury hätte verhängt werden dürfen. Der Biologielehrer ist mittlerweile aus dem Schuldienst ausgeschieden, so daß keine neue Anklage gegen ihn erhoben wird. Auch dies ist allerdings nur ein weiterer Schachzug im juristigen Geplänkel. Mangels Beschwerde des Angeklagten kann das Verfahren nun nicht mehr dem obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten vorgelegt werden.

Das Gesetz lebte in Tennessee noch lange, erst 1967 wurde es aufgehoben, zu einer Anklageerhebung kam es jedoch nicht mehr.

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