Gebrauchsanweisung für Richter

Lieber Richter, nach 13 langen Schülerjahren, mindestens 4 Jahren Studium und 3 Jahren als Beamter auf Widerruf bist Du es endlich: Richter. Repräsentant der dritten Gewalt, unabhängig, keinen Weisungen unterworfen und pensionsberechtigt.
Staatsanwälte, Rechtsanwälte, jeder Jurist hat zwar die gleiche Ausbildung wie Du und manch einer sogar ein noch besseres Examen, aber nichtsdestotrotz, koste es aus: Du bist Richter. Dein Wort ist Urteil. Zeig das deutlich. Immer. Du hast schliesslich einen Ruf zu verlieren.
Die Zivilprozessordnung ist Deine Klaviatur, auf der Du virtuos spielen kannst. Über tempi, über Dur oder Moll sagt sie zu Deinem Glück wenig. Deshalb:
Mach grundsätzlich einen frühen ersten Termin. Überflieg vorher kurz die Akten, ordne persönliches Erscheinen der Parteien an und mach den Parteien und den Anwälten klar, daß sie nicht viel von Dir zu erwarten haben. Und dann schlag den Halbe-Halbe Vergleich vor. Ohne nähere Begründung. Aber fordernd und zwingend.
Sollte nun doch einmal ein Prozess durchgeführt werden müssen, mach möglichst viele Termine. Die Parteien und die Anwälte freuen sich, wenn sie in dieser Sache sehr oft vor Gericht erscheinen müssen. Ordne immer persönliches Erscheinen an, ob notwendig, oder nicht. Ist die Kanzlei eines der Anwälte mehr als 20 km vom Gerichtsort entfernt, lege alle Termine auf 8.30 h. Dies freut ihn.
Bei einem Beweisaufnahmetermin sei Dir egal, wieviel Zeugen zu laden sind. Lad sie auch alle auf 8.30 h. Selbst wenn es 8, 9 oder 10 Zeugen sind und der letzte erst gegen Mittag gehört wird, macht nix. Niemand kann sich schliesslich Schöneres vorstellen, als auf einem Gerichtsflur mehrere Stunden zu warten.
Lad am besten alle Deine Termine auf 8.30 h. Das spart Arbeit. Und die Anwälte und die Parteien haben ja sonst nichts zu tun.

In Strafsachen hast Du eine ganz besondere Verantwortung. Du musst da einfach verschiedene "hehre" Rechtsprinzipien der Praxistauglichkeit anpassen. Unschuldsvermutung? Was für ein Unsinn. Der Angeklagte soll beweisen, daß er es nicht war. War er es nach Aktenlage, könnte man sich die ganze Hauptversammlung eigentlich sparen.
Betrug, Unterschlagung, Konkursverschleppung sind Delikte, die zivilrechtliche Vorfragen aufwerfen? Ach was. Hättest Du Civilist werden wollen, dann hättest Du Dich anders beworben.
Aber bitte, tu uns Anwälten doch einen besonderen Gefallen. Schreib nicht Dein Urteil in den Aktendeckel, während wir noch plädieren. Schreib es wenigstens vorher.

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